“Baobabs halten sich nicht an das Buch der Bäume – sie schreiben ihr eigenes Buch. Sie entsprechen keiner der Normen, die man von anderen Bäumen kennt. Für mich sind sie wie Menschen: zuerst wachsen sie gerade und lang in die Höhe und irgendwann werden sie massig. Alle sind Individuen. Im Norden kann man das gut sehen, denn einige sind hoch gewachsen, andere kurz, einige sind dick und gedrungen aber alle unterscheiden sich in ihrer Form und Größe. Nicht einer gleicht einem anderen.” (Michele Hofmeyr)
Auf einer meiner Reisen sah ich im Norden des Krüger Nationalparks prächtige Affenbrotbäume, die auch Baobabs genannt werden. Ich wollte mehr über die Bäume erfahren und wandte mich in Skukuza, dem Hauptcamp im Park, an die Forschungsabteilung. Dort wurde mir ein Gespräch mit der Botanikerin Michele Hofmeyr empfohlen, die damals die Baumschule im Park leitete.
Schnell stellte sich heraus, dass auch Michele Affenbrotbäume liebt: „Baobabs haben mich schon immer fasziniert. Nach meinem Studium reiste ich nach Madagaskar, um die Bäume dort zu sehen.” Seit meinem ersten Besuch in der Baumschule haben wir uns mehrfach getroffen und uns über die Bäume ausgetauscht.
“Ich habe schon viele Baobabs gepflanzt”, sagt die Botanikerin und zeigt mir ihre Schätze. In Pflanzbeuteln stehen sie aufgereiht in der Baumschule oder im Garten ihres Hauses und warten auf ihr Leben in der Wildnis. “Viele Leute sagen, Baobabs seien schwer zu züchten – aber es ist wirklich einfach. Sie brauchen einfach Zeit “, sagt Michele und fährt fort “nachdem man die Samen gewässert hat – damit simuliert man ein Niederschlagsereignis – legt man sie auf Erde in einem Beet und deckt sie mit Flusssand zu. Manchmal dauert es bis zu 12 Monate bis sie keimen.”
Die Samen haben eine besondere Fähigkeit: sie können für lange Zeit in einem Ruhemodus verharren und behalten trotzdem ihre Fruchtbarkeit. “Wenn man in ein Beet mit ungekeimten Baobab Samen im darauffolgenden Jahr andere Pflanzen setzt und dadurch die Bodenruhe stört, werden die ruhenden Samen aufgehen. Das kann sich bis zu fünf Jahre hinziehen“, verrät sie mir. Im Jahr 2006 war der Baobab “Baum des Jahres” in Südafrika. Für diesen Anlass pflanzte Michele mehr als 10.000 Samen aus und verkaufte die Setzlinge in der Baumschule. Die Erlöse investierte sie in ihre Projekte.
Kleine Affenbrotbäume sind sehr schmackhaft – zumindest für Paviane. Deshalb benötigen sie in den ersten Lebensjahren besonderen Schutz. Die Affen lieben die kleinen Knollenwurzeln, die den Bäumchen als Nährstoff- und Wasserspeicher für die Trockenzeit dienen. Sie reißen die Pflanzen aus, verspeisen die Wurzeln und werfen den Rest des Baumes weg.
Samen, die bereits zu Beginn der Regenzeit zwischen November und Dezember austreiben, haben viel Zeit zu wachsen und können fleißig Reserven für die nächste Trockenzeit anlegen. Deshalb sind sie stärker und haben eine bessere Überlebenschancen als jene, die später keimen. Zum Ende der Regenzeit, also im Herbst auf der südlichen Hemisphäre, verlieren Baobabs ihre Blätter und ihr Stoffwechsel verlangsamt sich.
Für Michele sind die Giganten ein “eigenes Ökosystem und wie Wächter in der Steppe.” Sie bieten Nahrung und Schutz für eine Vielzahl von Tieren. Im Krüger Park nisten die im südlichen Afrika seltenen Baobabsegler in den Bäumen.
Baobabs passen nicht in eine Baum „Norm“
Begeistert erzählt Michele von den Besonderheiten der Affenbrotbäume: „was der Baum über all diese Hunderte von Jahren gesehen hat, die er an einem Ort steht – die Dürren, die Überschwemmungen, die Menschen, die Tiere – für mich ist er diese Ikone von Afrika und ein magischer Baum.”
Ihrer Meinung nach passt er in keine Norm für Bäume. Das macht ihn für sie so einzigartig:
- Ihre Rinde um den Stamm kann komplett entfernt werden, ohne dass er dadurch zugrunde geht. Bei anderen Bäumen liegt das Versorgungssystem zwischen Wurzeln und Blättern liegt in der Rinde. Entfernt man sie, unterbricht man dabei die Versorgungskanäle und die betroffenen Bäume gehen ein. “In Simbabwe trennen die Menschen große Stücke aus der Rinde von Affenbrotbäumen und fertigen daraus Schlafmatten an. Das sieht man den Bäumen an aber sie wachsen trotzdem weiter. In Madagaskar entnimmt man aus großen Bäumen so große Stücke, dass man sogar Häuser davon bauen kann.”
- Bei Baobabs verläuft die Kambium-Schicht, die für die Versorgung zuständig ist, nicht nur durch die Rinde sondern webt sich durch das ganze faserige Gewebe. Deshalb überleben sie, auch wenn alte Exemplare innen hohl sind.
- Affenbrotbäume werden manchmal zu den Sukkulenten gezählt, obwohl sie keine sind: “Wenn man sie berührt, könnte man glauben, dass sie weich sind – aber sie sind wirklich hart”, erklärt Michele und fährt fort: “Ihre Struktur spielt in einer eigenen Liga. Das Einzige, was sie wirklich umbringt, ist eine Schädigung dieser Struktur.”
- Fressschäden und Verletzungen durch Elefanten können die Bäume bis zu einem bestimmten Grad überleben und weiterhin Blätter und Früchte produzieren – selbst wenn große Teile des Stamms oder ganze Äste fehlen. Nach einer Schädigung durch Elefanten wächst sofort ein Stück Rinde nach. Die neue Schicht sehe aus wie Wachs, das herunterfließe meint Michele, das sei besonders an den Bäumen.
- Baobabs hinterlassen kaum eine Spur, sobald sie umfallen und sterben: „Das Traurige an einem sterbenden Riesen ist, dass er nach etwa drei Wochen ganz weich wird und innerhalb von Monaten fast ganz verschwindet – außer einem Haufen Fasern bleibt nichts übrig“, sagt die Biologin. Nach etwa einem Jahr ist der Baum ganz weg – nur eine Delle im Boden markiert den Ort, an dem er über Jahrhunderte wuchs.
- Nicht alle Baobabs, die umfallen, sterben auch sofort. Manche, die noch jung genug sind und deren Wurzelsystem intakt ist, wachsen weiter – auch wenn sie auf dem Boden liegen.
Baobab Vorkommen im Park
Die meisten wachsen im nördlichen Teil des Krüger Nationalparks. Einige findet man jedoch auch weiter südlich, zum Beispiel in Skukuza. Sie wurden von Menschen dort angepflanzt, manche sogar umgesiedelt. Michele erinnert sich, wie ein Baum von Letaba per Kran ausgehoben und zum Gideon Border Post gebracht wurde. “Die Menschen im Norden Südafrikas mögen ihre Baobabs. Sie sind integraler Bestandteil des Ökosystems und eine wichtige Spezies auf der Monitoringliste für Pflanzen des Krüger Parks”, sagt die Biologin. Die Bäume sind in Südafrika gesetzlich geschützt – vor allem die “Champion Trees” oder Rekordbäume wie der Sagole Big Tree im Gebiet der Venda.
Baobab – der Hochzeitsbaum
Micheles Lieblingsbaum wächst im Norden des Parks bei Pafuri. Der Baobab ist riesig, bietet eine grandiose Aussicht auf die Umgebung, ist innen hohl und hat eine Plattform, auf der Trauungen stattfinden. Deshalb ist er sehr beliebt bei Hochzeitspaaren.
Bekannt ist der Ort aber auch als bedeutsame archäologische Stätte. Eine alte Steinmauer datiert zurück bis in die Eisenzeit (um 1500 n. Chr.). Ihre Entstehung wird in Verbindung gebracht mit “Great Zimbabwe”, einer historischen Stätte bei Masvingo in Simbabwe. Teile der Bevölkerung kamen über den Limpopo und siedelten sich bei Thulamela an.
Die Biologin vermutet, diese Siedler könnten Baobab-Früchte mitgebracht und die Samen der Bäume ausgepflanzt haben. Als Indiz dafür führt sie an, dass die Baobabs in Thulamela in gerader Linie wachsen, was bei natürlicher Reproduktion ungewöhnlich ist. Auch das Alter der Bäume und ihr Vorkommen in Alterskohorten entspräche dem Zeitraum der Besiedlung.
Die siedelnden Menschen halfen den Baobabs – bewusst oder unbewusst – beim Überleben. Sie jagten Pflanzenfresser, töteten Elefanten für Elfenbein und verschafften den kleinen Baobab-Trieben dadurch den Freiraum zu wachsen.
Frost ist die natürliche Grenze
Die Baobabs im Krüger Nationalpark wachsen am südlichsten Rand ihres Verbreitungsgebiets. Der Frost bildet somit eine natürliche Grenze für ihre Ausbreitung. Große Baobabs können leichten Frost tolerieren, kleinere sterben ab. Ich frage nach, ob bereits Zeichen für den Klimawandel an den Bäumen zu sehen sind. Michele erklärt, dass es dafür bei den Bäumen noch zu früh ist, ergänzt aber “sollten sie sich zeigen, sind sie zuerst an den Randzonen ihrer Verbreitungsgebiete und damit im Krüger zu sehen.” Trotzdem bekommt der Park bereits klimatische Veränderungen zu spüren: “innerhalb von 15 Jahren hat der Krüger Park drei außergewöhnlich schwere Überschwemmungen erlebt – dieses Phänomen war in der Gegend bislang unbekannt“ sagt die Wissenschaftlerin.
Tausende von Riesen
Die Botanikerin hat in zahlreichen Forschungsprojekten im Park mitgearbeitet und eigene Feldforschungen über Baobabs durchgeführt. Im Norden wachsen etwa 20.000 der Riesen. Die ältesten sind zwischen 900 und 1.200 Jahren alt. Zur Bestimmung des Alters wird die Radiokarbondatierung angewendet. Für die Proben müssen die Bäume angebohrt werden. Dadurch entstehen Verletzungen. Die Löcher sind Eintrittspforten für Krankheiten. Deshalb setzt man im Krüger diese Methode nur sparsam an. Außerdem ist es schwer, präzise Zahlen zu gewinnen: “Die Ergebnisse können bis zu +/- 500 Jahre vom tatsächlichen Messwert abweichen”, sagt Michele.
Das Klima im Norden bekommt den Giganten der Savanne gut: es ist heiß und bietet im Jahr etwa 250 Milliliter Regen. Die Bäume gedeihen prächtig. Die Exemplare weiter im Süden wurden gepflanzt. „Menschen spüren eine enge Verbindung zu den Baobabs. Sie trugen die Samen mit sich und pflanzten sie da, wo sie siedeln wollten – auch außerhalb der natürlichen Verbreitungsgebiete”, erklärt die Biologin.
Ganz kleine Baobabs findet man selten im Park
Alte Baobabs sind leicht zu sehen – aber was ist mit ihrem Nachwuchs? Michele hat auf ihren Exkursionen im Park noch keine kleinen Baobabs gesehen. Für sie liegt einer der Gründe in der episodischen Fortpflanzung der Bäume. Die Samen keimen nur, wenn ideale Bedingungen herrschen: ausreichend Wasser und Nährstoffe über einen längeren Zeitraum aber nicht zu viel stehende Nässe, Wärme und kein Befraß durch Wild. Das kommt in diesem Gebiet Südafrikas nur alle 50 bis 100 Jahre oder noch später vor. “Aber bei einem möglichen Alter von 900 Jahren und mehr genügt es, wenn der Baum sich durch einen einzigen Samen fortpflanzt”, folgert der Biologin.
Im Krüger überlebt der Baobab Nachwuchs derzeit nur, wenn er sich unter anderer Vegetation versteckt oder dort wächst, wo er für Pflanzenfresser unerreichbar ist. Impala, Nyala und Kudu lieben kleine Schösslinge. Dabei gelangen die Antilopen in Gebiete, die für Elefanten unerreichbar sind, zum Beispiel auf felsige Abhänge. Auch Buschbrände, die immer wieder im Park wüten, stellen ein Problem für die kleinen Bäumchen dar. Ältere Exemplare können Buschbrände leichter überstehen.
Große Affenbrotbäume sind besonders in der Nähe von Flüssen, die ganzjährig Wasser führen, von Elefantenschäden betroffen. Im Krüger Park blieben sie bislang weitestgehend verschont, anders als im benachbarten Gonarezhou in Simbabwe “wo Elefanten der Baobab-Population enorm zusetzen”, erklärt Michele. Während einer ihrer Besuche sah sie, wie ein Elefant mit seinen Stoßzähnen große Stücke aus einem dicken Stamm brach.
Elefanten fressen Geschichte
Michele weist auf eine weitere enge Verbindung zwischen Affenbrotbäumen und Menschen hin: viele Bäume sind alte Zeitzeugen historischer Ereignisse und tragen die Spuren davon in ihrer Rinde. Vor vielen Jahren kamen Arbeiter aus Mosambik auf ihrem Weg in die Minen in Südafrika an den Baobabs vorbei und ritzten ihre Namen in die Rinde. Der bekannteste der Bäume wächst immer noch auf dem Baobab Hill, einem wichtigen Orientierungspunkt im dichten Busch, der weithin sichtbar ist.
Die Gegend war aber nicht nur Teil einer bedeutenden Handelsroute, sondern zog auch zwielichtige Gestalten an: “harte Cowboys lebten weit oben im Norden. Vor allem auch jene, die sich vor dem Gesetz versteckten, denn sie konnten schnell über die Grenze nach Simbabwe oder Mosambik verschwinden”, erzählt Michele. Beide Länder grenzen an Südafrika, dort, wo Limpopo und Luvuvhu sich treffen. Dieses wilde, entlegene Gebiet ist heute als “Crooks Corner” bekannt, was so viel bedeutet wie “Winkel der Gauner”.
Die alten, geschichtsträchtigen Baobabs sind gefährdet, denn ihre Inschriften werden aufgefressen: “Ich habe einige Bäume mit eingeritzten Namen und Symbolen gesehen – aber wenn Elefanten die Bäume fressen, sind die historischen Spuren für immer verloren”, sagt die Biologin.