Mit dem Künstler Alfred Bast verbindet mich eine lange Geschichte, obwohl wir uns die meiste Zeit gar nicht kannten. Sie beginnt in Hohenstadt im Ostalbkreis, an den Ausläufern der Schwäbischen Alb. Es dauert fast ein halbes Leben, bis wir uns 2015 in Berlin in der Morgensterngalerie bei einer seiner Ausstellungen endlich persönlich kennen lernen.
Der Künstler auf dem Frauenhof
Alfred Bast schafft seit über 50 Jahren Kunst. Er zeichnet, malt und befasst sich mit der Natur. Teil seiner Arbeit ist es, das Wesenhafte der Dinge zu erfassen. In einer frühen Schaffensphase ließ er sich zunächst in Hohenstadt im renovierten früheren „Spar-Laden“ nieder und wohnte später in einem der Gebäude auf dem Frauenhof.
Dieser Ort war für mich immer voller Geheimnisse und zog mich magisch an. Er liegt etwas außerhalb des Dorfes gut vor den Blicken Neugieriger verborgen. Idyllisch ruht er in einer Nische auf einer Lichtung vor altem Nadelholzbestand, der von meiner Großmutter und anderen Frauen in den 1960er Jahren gepflanzt worden war.
Lange war der Hof im Besitz des Grafen Adelmann und wurde von der gräflichen Familie genutzt. Als Kind hörte ich die Erwachsenen oft über den Frauenhof sprechen – doch sehen konnte ich ihn damals nicht – für mich war er unerreichbar.
Zutritt hatte nur, wer eingeladen war oder dort für die gräfliche Familie arbeitete. Wie der Name entstand, ist mir bis heute ein Rätsel. Umso mehr hat er meine Phantasie angeregt, als ich im Spiel durch die umliegenden Wälder streifte und mir vorzustellen versuchte, was es mit dem Frauenhof auf sich haben mochte.
Die Verbindung: Baobab
Schon als Jugendliche habe ich Alfreds Arbeiten bewundert, war fasziniert von der Feinheit seiner Zeichnungen und seiner liebevollen Interpretation der kleinen und “unscheinbaren” Dinge in der Natur – die um Hohenstadt reichlich vorhanden ist. Immer wieder sah ich seine Bilder in Ausstellungen – wie der Frauenhof und der ehemalige Spar-Laden war auch der Künstler Alfred Bast eine Institution für mich, die zu Hohenstadt gehörte. Zufällig hörte ich in Berlin aus zwei unterschiedlichen Quellen von seiner bevorstehenden Vernissage. Dort überbrachte ich ihm Grüße aus der Heimat und ein Anfang war gemacht.
In seinem Berliner Atelier entdeckten wir eine weitere Gemeinsamkeit: BAOBAB! Von allem, was es sonst auf der Welt zu erleben gibt, ist es ausgerechnet dieser Baum, der uns ein weiteres Gespräch beschert – auf besagtem Frauenhof im Schwäbischen.
Arbeitsidylle im Atelier
Die Maisonne lacht vom Himmel. Ich fahre die schmale Teerstraße zum Frauenhof entlang und hoffe, dass mir kein Fahrzeug entgegen kommt. Der Weg führt leicht bergab und zunächst sehe ich nur das Haupthaus. Ich bin überrascht, denn meine kindliche Phantasie hat mir vor Jahren ein ganz anderes Gebäude vorgegaukelt: stattlich, alt und im Prinzip wie eine kleinere Kopie des Schlosses, das den Ortskern im nahegelegenen Dorf ziert.
Aber ich bin noch nicht ganz am Ziel. Über die morgenfeuchte Frühlingsblumenwiese stapfe ich zur Wirkungsstätte des Künstlers. Sie liegt etwas unterhalb vom Haupthaus. Vor vielen Jahren wurden die Stallungen umgebaut und seitdem vom Künstler als Atelier und Wohnraum genutzt. Das Anwesen wirkt sehr freundlich und einladend – es schmiegt sich friedlich vor die hohen Nadelbäume des angrenzenden Waldes.
Alfred erwartet mich bereits und führt mich zu einer Sitzgelegenheit mit Blick auf einen Waldweg, der im üppigen Grün aus dem Blickfeld verschwindet: ein Kosmos für sich. Welch inspirierender Ort, um Kunst zu schaffen! Das Werkbuch mit den Abbildungen seiner Baobab Skizzen liegt bereit und Alfred beginnt, darin zu blättern. Neben einigen Zeichnungen hat er auch Texte über den Baobab verfasst.
2008 folgte er einer Einladung des Goethe Instituts, das den Arbeitsaufenthalt in Dakar im Senegal für ihn finanzierte. Aus seinem Schaffen ergab sich eine Ausstellung im Institut mit Live-Performance im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden Art Dakar – eines bekannten Kunstfestivals.
Baobabs und Elefanten – ein gelungener Vergleich
„Gestern erst in meiner Ausstellung habe ich aus dem Buch gelesen und bin darauf gestoßen, dass ich etwas über Baobab Bäume geschrieben habe“ – wir sind mitten im Gespräch. „Ich war platt, als ich diese Bäume gesehen habe“, meint der Künstler nachhaltig beeindruckt.
„Baobabs haben alles, was ich an „Baum“ kenne, über den Haufen geworfen, dass ich nur den Elefanten als Vergleich hatte“, sagt er und bezieht das nicht nur auf die Erscheinung der Riesen, sondern auch auf deren Wesen. „Ich hatte sofort das Gefühl, das ist ein „Elefantenbaum“. Bis heute hat sich der Eindruck bei ihm gehalten.
Dieser Bezug ist mir schon häufiger begegnet – ich kann das gut nachvollziehen. Ihre schiere Größe erinnert an die grauen Dickhäuter und manchmal überragen die Bäume die Tiere um Längen. Die Beschaffenheit und Farbe ihrer Rinde mit den vielen “Hautfalten“ bestärken den pachydermen Eindruck.
„Wie ein Haus steht der Baum da“, fährt Alfred fort. Immer wieder haben Menschen Baobabs ausgehöhlt und sich die Innenräume als Wohnstätten zunutze gemacht. In einem Vorort von Dakar in der Nähe seiner Unterkunft stand so ein Gigant. „Der Baum war innen hohl, da passten locker vier bis fünf Menschen hinein“, erinnert er sich. “Ich finde es faszinierend, dass der Baobab eine Art ist, die Innenräume schafft – aus welchen Gründen auch immer.”
Baobabs und die “Griots”
Wir kommen zum Bezug Westafrikanischer Künstler zum Baobab: sie werden “Griots” genannt und in manchen Baobabs bestattet. Mir gefällt, wie der deutsche Kunstschaffende darüber denkt und deshalb folgt ein ungekürztes Stück aus dem Interview:
Alfred Bast:
„Ich habe gehört, dass Künstler in den Bäumen bestattet werden, weil sie nicht der Erde zugehören. Das hat mich sehr beeindruckt, weil ich finde, dass die künstlerische Lebensrealität zwischen Himmel und Erde ist. Eigentlich so wie der Baum auch. Der Künstler arbeitet zwar für die Erde und auch aus dem Irdischen heraus aber ohne Bezug zum Himmlischen und ohne Inspiration wird da nichts draus.
Deswegen ist die Pflanze in der Natur dem Künstler vergleichbar, weil der eben verwurzelt ist in seiner biografischen Realität wie jeder andere Mensch. Mit seinem Streben, Verwirklichen und Umsetzen hat er aber auch Bereiche integriert mit dem was er in sich trägt und weitergibt.
Er zielt damit nicht nur auf die Reproduktion dessen ab, was er selber ist: Familie und Kinder. Sondern eröffnet einen Bereich der biologisch gesehen dem Menschen zunächst nicht notwendig erscheint. Aber in den Bedingungen, die über die reinen Bedürfnisse des Biologischen hinauswachsen, da ist der Mensch als fragendes Wesen, als Wesen der Erkundung und der Wahrnehmung – auch von sich selbst – unterwegs.
An dieser Stelle beginnt der Mensch aufzubrechen wie eine Knospe oder wie aus dem Ei heraus und geht auf die Suche nach sich selbst – oder nach dem was ihn noch berührt außer dem was nötig ist zu essen und zu schlafen. Das reicht dem Menschen nicht, selbst, wenn er alles in der Richtung hat – er braucht eine andere Nahrung.
Der Künstler schafft eben diese andere Nahrung herbei in Form von musikalischen Früchten, literarischen Früchten, von Geschichten, Bildern, Skulpturen. Insofern ist der Künstler auch ein Baum, ein Früchte tragendes Wesen, das nicht nur für sich sorgt, sondern für die Gemeinschaft. Der Künstler ist ein Gemeinschaftswesen in diesem Sinne und deswegen finde ich es vollkommen richtig, dass Künstler in Westafrika im Baobab bestattet sind. Ich könnte mir das für mich auch gut vorstellen. Das würde mir gefallen. In einem Baum den letzten Schritt zu machen.“
Vom Wesen des Baobab
Nach einer weiteren Schleife über die Bestattung von Menschen in Baobabs im südlichen Afrika wendet sich unser Gespräch sinnlich konkret Erfahrbarem zu. Wir sprechen über die Rinde des Baobabs. “Wie eine Haut – wie von einem Tier, von einem Wesen” fühle sie sich an. “Ich habe den Baobab als Wesen erlebt – eindeutig”, allerdings keines, das ihm bis dahin in seiner Vorstellung begegnet war. “Ein großes, gewaltiges, mächtiges und auch sanftes Wesen – ähnlich wie der Elefant.”
Am Wesenhaften lag die Faszination aber nicht alleine, denn der Baobab besticht nicht nur durch die Macht, die er ausstrahlt, sondern auch durch seine einzigartige Ästhetik. Mit Alfreds Kunstverständnis, das unter anderem auf der griechischen Proportionslehre basiert, läuft ihm der Baobab mit seiner “unzulänglichen” Proportion und seinem mitunter skurrilen Erscheinungsbild quer. Er passt in diese Vorstellungswelt zunächst überhaupt nicht hinein. “Der Baum ist völlig anders – er orientiert sich ganz wo anders hin.” Der Künstler bezieht sich auf die bisweilen skurrilen, “turmartigen Bäume”, die er im Senegal gesehen hat.
“Das Wesenhafte an dem Baum ist für mich etwas, das ich mit der Fremdartigkeit von Afrika verbinde.” Der Baobab sei eine besondere Begegnung mit Afrika für ihn gewesen, so wie auch der Rhythmus. “Aber der Rhythmus lässt sich leichter transportieren. Selbst die Elefanten kommen her – aber der Baobab, der lässt sich nicht so einfach in Europa ansiedeln.”
“Gott hat den Menschen nur skizziert – es passiert auf der Erde, dass jeder sich erschafft.” (Senegalesisches Sprichwort)
Dieser Satz hat ihn so berührt, dass er ihn zum Motto für sein Werkbuch machte. Auf mehreren Seiten hält er Skizzen und Texte über den Baobab fest. “Jetzt finde ich die Skizze nicht mehr so schlimm” (Tag 8, Seite 118), sagt er nachdenklich. Zunächst denke ich, ich hätte mich verhört. Für mich sieht sie perfekt aus – das “Wesen” Baobab scheint sehr gut getroffen. Damals störte ihn die Unschärfe der Bleistiftzeichnung und er übermalte das Bild. Heute schätzt er sein Bild ganz anders – die Unschärfe spiegelt nun das Wesenhafte des Baums: “Der hat so große Arme, der sieht aus wie ein Haus – ich konnte ihn nicht fassen. Ich könnte sagen, der hat mich fassungslos gemacht”, sagt der Künstler und lacht.
Nach unserem Exkurs in die Welt der Baobabs erzählt mir Alfred Bast noch, was “reisen” für ihn bedeutet. Bei seinen Reisen nach Indien, in die USA, nach Senegal und an verschiedenste andere Orte kam es ihm nicht darauf an, bestimmte touristische Destinationen “abzuarbeiten”. Vielmehr möchte er dort, wo er hinfährt auch “ankommen” und meint damit die “tiefen Schwingungen eines anderen Kontinents der Erde” auch zu erfahren, diese “wunderbare Erde von einer ganz anderen Seite erspüren.” Das passt dann auch wieder zum Erfassen des Wesenhaften und zum Elefanten im Baobab.
Mehr Information über Alfred Bast und seine Arbeit gibt es HIER
Ein wunderbarer Artikel. Danke dafür.
Liebe Ursula Röber, herzlichen Dank für die positive Rückmeldung – das freut mich!
Lieber Alfred !
So Schön deine Eindrücke über den Elefantenbaum zu lesen ! Wir haben Auch den Elefantenbaum in Südafrika erlebt und waren Auch sehr beeindruckt.