Kaum hat sich die Sonne als glutrote Scheibe ein winziges Stück am Horizont emporgeschoben, sind wir auf den Beinen. Mit Norman Chauke, Tracker und Ausbilder bei EcoTraining, habe ich mich an die Fersen eines Breitmaulnashorns geheftet. Die Spur ist frisch, das Tier ahnt nicht, dass wir ihm folgen. Ich begleite Norman bei seiner Lieblingstätigkeit: dem Tracking. Unterwegs sind wir in einem der vier EcoTraining Camps in Südafrika. Unmittelbar sehen wir zwar keine Baobabs, doch im Verlauf unseres Treffens komme ich nicht umhin, Norman nach seinen Geschichten über die Bäume zu befragen.
Gerne erinnert er sich: “Als Kinder haben wir die Blätter der Baobabs geerntet, sie als Spinat zubereitet und gegessen.” Auch das Fruchtpulver mochte er. Er nahm es aus der harten Fruchtschale mitsamt den Samen und gab es in ein Glas. Dann rührte er so lange, bis sich das Pulver auflöste und er die Samen herausfischen konnte. “Den so entstandenen Baobab Porridge habe ich gerne gegessen” erzählt er. Vor vielen Jahren nutzten die Menschen in seinem Heimatdorf Makuleke auch die Rinde der Baobabs. Sie schnitten große Stücke heraus und trockneten sie, dann nutzten sie die Rinde als Matten.
Natürlich hat er als Kind nicht nur die kulinarische Seite der Baobabs genossen. Ihre Größe und die ausladenden Formen sind eine unwiderstehliche Einladung zum Klettern. Oft ist er in den Riesen herumgeklettert und hatte auch viel Spaß dabei. Doch erinnert er sich auch, dass es nicht gerade einfach war mit den Baobabs. Bei ihnen sind nicht nur die Stämme riesig, sondern auch die Äste. Sie zu umfassen und sich daran festzuhalten ist deshalb nicht immer einfach. Wie fast jedes Kind bekam er deshalb von seinen Eltern zu hören, dass er nicht auf Baobabs klettern solle – die Rinde wäre einfach zu glatt und rutschig.
Eine Geschichte über die Blüten der Baobabs hat es ihm besonders angetan. “In der Kultur der “Bushmen” gibt es eine Lebensweisheit: wenn man jemanden besonders mag, soll man die Blüte eines Baobabs pflücken und sie dieser besonderen Person schenken” sagt er. Andere afrikanische Kulturen raten davon eher ab: sie warnen, dass man von einem Löwen oder alternativ von einem Krokodil gefressen würde, wenn man die Blüte pflückt. Normans Fazit: wenn man schon das Risiko eingeht und die Blüte pflückt, sollte man sich ganz sicher sein, dass der Mensch, für den man sie gepflückt hat, die Gefahr auch wert ist. Denn der Rest des Lebens, den man mit der Person dann noch hat, könnte unter Umständen recht kurz sein… Wer wird schon gerne von einem Löwen gefressen für eine Person, die das Opfer nicht wert ist?
Norman kennt noch eine weitere Baobab Geschichte von den “Bushmen”. Sie besagt, Baobabs gäbe es erst in ihrer großen, ausgewachsenen Form. Manche gehen sogar soweit und erklären, die Bäume fielen direkt vom Himmel. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass kleine Baobabs sich deutlich von ihren großen Verwandten unterscheiden. Erst im fortgeschrittenen Alter nehmen sie ihre typischen, unverwechselbaren und weithin sichtbaren Formen an.
Eine dritte Geschichte von den “Bushmen” teilt er mit mir: “Als Gott die Pflanzen erschuf, gab er allen Tieren Samen – sie sollten Bäume pflanzen. Der Baobab-Same war der letzte und landete bei einer Tüpfelhyäne. Diese gab sich keine besondere Mühe und warf den Samen verkehrt herum in die Erde. Deshalb sehen die Kronen der Bäume heute aus wie Wurzeln, die sich in den Himmel recken. Das kann man besonders gut im Winter sehen, wenn die Bäume kein Laub tragen.”
Das Nashorn haben wir zwar nicht zu Gesicht bekommen – dafür aber einen großen Haufen frisch abgesetzten Dung. Es hat sich in dem unübersichtlichen Terrain einfach zu gut versteckt. Dafür werde ich Zeugin, wie Norman perfekt die Stimme eines Perl-Sperlingskauzes imitiert. Das Tier sitzt über uns in einem Baum und antwortet tatsächlich. Ich bin beeindruckt.